Im September war es soweit. Ich folgte dem Ruf auf die grüne Insel, an die Ostküste Irlands. Dem Ruf der irischen Pferde und der Menschen, die mich voller Herzlichkeit in ihrem Land empfangen haben und mir unvergessliche Stunden schenkten.
An einem späten, vorherbstlichen Nachmittag landete mein Flieger in Dublin. Kathi holte mich vom Flughafen ab und wir fuhren zu ihrem Zuhause, welches für die nächsten Tage auch meines war. Mich erwartete eine unglaublich guttuende Gastfreundschaft. Zu allem Glück strahlte die Sonne in voller Kraft und ließ alles, was sich meinen Augen bot, in prächtigen Farben und tollem Glanz erstrahlen. So lerne ich neue Gegenden natürlich besonders gern kennen.
Am nächsten Tag fahren wir gleich zu den Pferden. Der Wecker klingelt bei Zeiten, da ein Shooting am Meer geplant ist. Am Strand darf man sich bis 11: 00 Uhr mit den Pferden aufhalten. Danach ist der den Badegästen und Spaziergängern vorbehalten. Dennoch, ein Luxus, den ich in der Saison in Deutschland nicht kenne.
Kathis Vollblutwallach Badger steht in den Grove House Stables, dem Reitstall von Karl Allen in Bettystown. Hier sind ungefähr 20 wundervolle Pferde zuhause – Vollblüter, irische Sportpferde, Irish Draughts und Tinker. Die schönen Pferde leben hier in einem Paradies. Die Stallungen und die zwei großen Reitplätze sind von weiten grünen Wiesen eingebettet. Auf diesen Wiesen sind die Pferde von April bis Oktober durchweg draußen. Durch den Platz, der den Pferden hier zusteht und der sie nicht nur auf einer kleinen, begrenzten Stelle festhält, ist die Grasnarbe vollkommen unbeschädigt und bietet auch bei Regen einen gesunden Untergrund. Ich kann mich – davon vollkommen fasziniert – gar nicht sattsehen. Im Winter sind die Pferde nachts im Stall und dürfen tagsüber wieder ihre Freiheit genießen. Im grünen Irland hat es hier an der Ostküste selbst im Winter Wiese, auf der die Pferde sich wohlfühlen können.
Absolute Freundlichkeit strahlt mir entgegen, als wir am zeitigen Morgen im Stall ankommen. Ich fühle mich, als ob ich schon ewig hierher gehöre. Karl hat schon den Pferdetransporter breitgestellt. Er fährt die Pferde zum Strand. Voller Vorfreude begrüße ich Badger, Kathis 17 jährigen Irischen Vollblutwallach. Ein wunderschönes Pferd schaut mir tief in die Augen und wir machen uns bekannt. Ich sehe in meinem Geist einen erlebnisreichen Film über dieses Pferd ablaufen, nämlich Badgers Geschichte, die mir Kathi über ihr Herzenspferd erzählt hat:
Der Vollblüter ging bis zu seinem Alter von 7 Jahren im Rennsport und konnte viele Erfolge verbuchen. Er war Erstplatzierter, Zweitplatzierter und lief sogar einmal in Royal Ascot vor den Augen der Queen. In Irland werden viele Vollblüter nach ihrer Rennkarriere „ausgemustert“. Badger hatte das Glück, dass er seinem früheren Renntrainer sehr am Herzen lag und dieser eine gute Stelle für sein Erfolgs-Rennpferd gesucht hat. Er traf Karl Allen von den Grove House Stables. So kam Badger nach Bettystown und ein paar Jahre später gehörte er seiner Kathi. Heute kennt er viele Dressurlektionen und wird von Kathi gesunderhaltend gymnastiziert.
Badger ist bereit für das große Shooting – er strahlt und glänzt in seiner vollen Pracht. Die Pferde werden verladen und ab geht’s zum Bettystown Beach. Die Fahrt dauert nur zehn Minuten. Im Grunde könnte man auch hinreiten. Allerdings sind die Straßen in dieser Gegend sehr schmal, sehr befahren und Fußwege gibt es quasi nicht. Unspektakulärer ist das Verladen und Transportieren der Pferde. Karl parkt auf der Straße vor den Dünen, Kathi lädt ihren bereits gesattelten Badger aus, steigt auf und reitet einen schmalen Pfad durch die breiten Dünen. Ich bin sehr berührt von dieser zauberhaften Natur. Die Sonne steht noch tief und mein Fotografenherz hüpft regelrecht ob der traumhaften Licht-, Landschafts- und Fotobedingungen. Als wir die hügeligen Dünen durchquert haben, wird der Blick auf das Meer frei. Ich bin einfach nur begeistert. Es herrscht Ebbe. Wie bestellt. Super, wir sind also nicht nur auf den zehn Meter breiten Sandstrand, der bei Flut übrig bleibt, angewiesen. Uns bietet sich eine weite, den Pferdehufen guttuende Fläche für spektakuläre Reitfotos. Irgendwie geht uns allen das Herz hier auf. Badger genießt es sichtlich, sich den Wind der Irish Sea um die Nase wehen zu lassen. Die Möwen kreischen, der eine oder andere Hund rennt in die Wellen, die Luft riecht salzig, nach Meer. Viele wunderschöne Fotos dürfen entstehen.
Doch ich bin nicht nur in Irland, um den schönen Badger am Bettystown Beach abzulichten. Jedes Jahr im September findet hier eine großartige Aktion für die Sicherheit von Reitern, Pferden und allen anderen Verkehrsteilnehmern statt. Die Kampagne „Pass Wide & Slow“. Ursprünglich in Großbritannien ins Leben gerufen, wurde sie auch in Irland übernommen. Worum geht’s dabei?
Die „Pass Wide & Slow“-Kampagne ist eine Aktion, bei der im ganzen Land Reiter, Radfahrer, Motorradfahrer und Autofahrer zusammenkommen, um aufzuklären und das Bewusstsein aller zu schärfen, wie man Pferde-Reiterpaare auf der Straße sicher überholen kann. Das Reiten auf Irlands Straßen erscheint besonders gefährlich, da die Straßen eben sehr schmal und keine Gehwege bzw. wenig Stellen zum Ausweichen vorhanden sind. Zwar sind große Wiesen und Wälder vorhanden, allerdings sind die kaum öffentlich. Von oben betrachtet kann man die durch Hecken getrennten, privaten Flächen gut erkennen.
Privatflächen zu durchreiten ist entweder grundsätzlich verboten oder ohne entsprechende Erlaubnis einfach unhöflich. Ich erlebe hier in Irland viele Reiter, die auf der linken Straßenseite reitend so am Verkehrsgeschehen teilnehmen und auf die Vorsicht und Rücksicht der Auto- und Motorradfahrer angewiesen sind. Natürlich dürfen sich auch die Reiter an die geltenden Verkehrsregeln halten – ganz genau, wie es auch in Deutschland gilt.
Regeln im Straßenverkehr für Reiter in Deutschland
Reiter haben ausschließlich die Fahrbahn im Straßenverkehr zu nutzen (also selbst, wenn der Fuß- oder Radweg sicherer erscheint: Das Reiten ist auf diesen nicht erlaubt). Reiter dürfen sowohl innerhalb geschlossener Ortschaften als auch auf der Landstraße reiten. Autobahnen und Bundesstraßen sind grundsätzlich tabu. Im Straßenverkehr gelten Pferde als Fahrzeuge. Der Reiter ist damit der Fahrzeugführer, wenn er auf öffentlichen Straßen reitet. Das bedeutet, dass sich Reiter an die Vorschriften der Straßenverkehrsordnung zu halten haben. Das betrifft das Reiten und das Führen eines Pferdes. In Deutschland gilt das Rechtsfahrgebot – also auch für Reiter/Pferde. Auch gelten die allgemeinen Vorfahrtsregeln „rechts vor links“, das Gebot der gegenseitigen Vorsicht und Rücksichtnahme, das Halten an einer roten Ampel.
Besteht eine Reitergruppe aus mindestens drei Reitern, die unter einheitlicher Führung in die gleiche Richtung reiten und dicht genug hintereinander reiten, dürfen zwei Pferde nebeneinander gehen. Ansonsten gilt, dass hintereinander geritten werden muss.
Reiter haben für ausreichende Beleuchtung von Pferd und Reiter zu sorgen.
Hinterlassenschaften sind aufzusammeln oder wegzuräumen.
Kathi, Carol, Anna, Roisin und die anderen von Grove House Stables, sowie einige Gastreiterinnen, die mit ihren Pferden extra für den Kampagneritt aus Dublin angereist sind, bereiten sich und ihre Pferde für den Ritt vor.
Da werden den Pferden reflektierende Leuchtgamaschen und Decken angezogen. Die Reiterinnen tragen Warnwesten mit verschiedenen Slogans drauf und die Helme sind mit auffälligen Überzügen ausgestattet. Die Stimmung ist fröhlich und erwartungsvoll, Lachen ertönt überall auf dem Hof, die Pferde sind absolut gelassen, die Sonne scheint. Alle freuen sich auf den ca. einstündigen Ausritt auf den Straßen von Bettystown. Eine Weile begleite ich die fröhliche Gruppe zu Fuß und fotografiere die bunte Gesellschaft. Dann ziehen die Reiterinnen im Trab von Dannen und mir wird es auf den engen Straßen bei viel Verkehr zu gefährlich. Ich warte auf ihre Rückkehr und genieße derweil die Idylle auf einer weiteren großen Pferdekoppel im Pferdeland Irland. Geschmückt mit einer der typischen Steinmauer gefiel mir dieses Kleinod ganz besonders.
Ich erlebe während der Aktion nur ausgesprochen rücksichtsvolle Auto- und Motorradfahrer. Langsam nähern sich die Fahrzeuge der gut gekennzeichneten Reitergruppe. Auf ein Zeichen der letzten Reiterin überholen die Fahrer in langsamer Geschwindigkeit und mit genügend Abstand zu den Reiter-Pferd-Paaren. Motorräder geben nicht laut Gas beim und nach dem Überholen. Ebenso halten sich die Reiterinnen an die Verkehrsregeln. Sie geben Zeichen beim Abbiegen, sie halten an Stoppstraßen, sie beachten die Vorfahrtsregeln.
Diese Kampagne prägt sich für mich als eine supergute Aktion für Vorsicht, gegenseitigen Respekt und achtsames Einhalten der Regeln für und von allen Verkehrsteilnehmer ein. Ich finde an diesem Septembersamstag in Bettystown ein weiteres Puzzleteil für das wohlwollende Miteinander aller Verkehrsteilnehmer in Irland und bin sehr beeindruckt.
Zurück im Stall gibt es viel zu erzählen. Die schönen Pferde sind wieder auf ihren Wiesen und so wird bei Kaffee, Tee und leckerem Kuchen die eine oder andere Situation des „Pass Wide & Slow“-Rittes nochmals ausführlich besprochen. Natürlich kommt auch dabei das Lachen bei den freundlichen, fröhlichen Menschen hier nicht zu kurz. Eine absolute Wohlfühlatmosphäre!